Ich heiße Peggy. Arbeite seit über einem Vierteljahrhundert in den Medien, bin Autorin, Mama und Sternzeichen Waage. Aber das ist schon fast alles, was feststeht in meinem Leben. Ansonsten gibt es täglich neue Fragen. Gerade jetzt. Früher, ja früher, erschienen sie eher aus Neugier. Heute plötzlich des Öfteren aus Angst. Aber genau das finde ich schlimm. Eigentlich ist doch die Liebe meine Religion. Halte es sonst mit der wunderbaren Aussage des Dalai Lama, zumindest macht sie sich prächtig an meinem Kühlschrank und im Internetprofil. Sie lautet: „Für mich stellen Liebe und Mitgefühl eine allgemeine, universelle Religion dar. Man braucht dafür keine Tempel und keine Kirche. Ja nicht einmal unbedingt einen Glauben, wenn man einfach nur versucht, ein menschliches Wesen zu sein mit einem warmen Herzen und einem Lächeln, das genügt.“
Gut, oder? Gerade in diesen Tagen, da wir nicht wissen, was politisch oder gesundheitlich noch alles passiert. Wie lange die Gefahr mit den Viren in unseren Körpern und Köpfen anhält und was die Erfahrung von neuer Verunsicherung wirklich mit uns macht. So wie das Betrachten neuer Bilder, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen: Tote, zu denen es nie hätten kommen dürfen und Kriegstreiber, die nicht nur auf dem Schlachtfeld agieren. Verrückte in hohen Ämtern, die Eitelkeit leben statt Könnerschaft und damit so gefährlich sind. Doch da sind auch die, die sich dagegen wehren – sich weiter dafür einsetzen, dass Freiheit und Gerechtigkeit Geschwister werden. Ob der Wandel, der nun da ist, tatsächlich einer zum Guten sein wird? Der, auf den wir schon lange hoffen, während sich bestimmte Kräfte selbst dieses Chaos zunutze machen. Wem können wir überhaupt noch glauben? Was von alldem, was gerade in den Netzwerken kursiert, stimmt und was nicht? Und was ist überhaupt mit jener Gewissheit sämtlicher Erkenntnisse aus der Menschheitsgeschichte, dass niemand auf dieser Welt allwissend ist oder gar die ewige Macht besitzt? Obwohl das viele von sich denken …
So viele Fragen, die mich plötzlich verfolgen, und nicht einmal abends geben sie noch Ruh. Denn was bedeutet das alles in einer Zeit des Umbruchs für mich? Für mein kleines, kurzes Leben auf diesem Planeten? Wie soll ich mich jetzt verhalten, wofür langfristig engagieren, wo meine Prioritäten setzen? Wie soll ich klug vorsorgen und wann, um Gottes willen, unbedingt das Wort ergreifen im schlickigen Untergrund dieser Tage? Darf ich denn überhaupt abwägen, es nicht zu tun, um mich selbst zu beschützen – still bleiben aus Angst? Wäre das schlau oder schäbig? Was würde mein Kind später einmal über mich sagen?
Wo ist die Antwort, die mich retten kann?
Noch einmal schaue ich auf den Spruch am Kühlschrank. Er gibt mir eine Richtung. Keine revolutionäre. Keine, die die Welt einreißt. Oder doch? Zumindest für mich stimmig in diesem Tohuwabohu. Ein Ansatz, den ich sofort unterschreiben kann. Ein Tropfen auf den heißen Stein oder einer, aus dem Meere entstehen, falls es viele so sehen? Wie auch immer. Es gibt eine zuverlässige Kraft, die größer ist als wir und der es sich in einem endlichen Leben zu folgen lohnt. Ganz einfach deshalb, weil sie es immer gut mit uns meint. Weil sie durch Freigebigkeit und Teilen bloß größer wird und selbst dort zu heilen vermag, wo niemand mehr daran glaubt.
Und diese Kraft heißt: Die Liebe.
Also treffe ich meine Entscheidung noch einmal neu, denn fürs Nichtentscheiden bleibt keine Zeit. Ich nehme den Spruch vom Kühlschrank und hole ihn hinein in mein Leben. Allein der Liebe will ich dienen. Jeden Tag, in meinem Haus und dem nebenan, und damit meine restliche Zeit auf Erden einem Bemühen widmen, nämlich dem, keine Angst vor der Angst zu haben.
Wie?
Wenn sie kommt, werde ich sie weder leugnen noch weglachen, mich auch nicht mehr vor ihr verstecken. Stattdessen werde ich extra hinsehen. Denn das, was man anschaut, besitzt weniger Macht. Sobald sie auftaucht, werde ich laut über sie sprechen und sie mir logisch erklären. So wie die vermeintlichen Gespenster dort unter dem Bett auf den knackenden Dielen im Haus meiner Eltern. Damals, als ich noch klein war und es mir half, dass sie mich ernst nahmen, gemeinsam mit mir lauschten und mir Dinge erklärten. Zusammen konnten wir den Spuk vertreiben. Genauso werde ich es als Erwachsene halten – hier im Angesicht neuer Geister und laut knackender Dielen in meinem Land. Ich werde ihnen begegnen mit Mut, Verstand, offenen Augen und meinem Vertrauen in die Liebe. Der beste Anker für alle Fälle. Gerade für einen wie diesen. Davon bin ich überzeugt. Und wie gut es tut, sich das einmal so klarzumachen. Ja, da gibt es tatsächlich noch etwas, das feststeht in meinem Leben!
Na, bestens. Gott sei Dank.
(Aus „Rette sich, wer kann? – Der kleine Alltag des Widerstands“, erschienen im Geest-Verlag)