Peggy Patzschke am Strand02

Der Tipp des Paradiesmannes

Den Mann, den ich so nenne, traf ich auf Reisen und er lebt tatsächlich im Paradies. Dem eigenen, am anderen Ende der Welt, im Regenwald von Australien. Sein Haus sieht aus wie ein Märchenschloss. Obendrauf ein Rapunzelturm, schneeweiß mit lustig gezackten Zinnen. Mein Paradiesmann baute sein Schloß mit den eigenen Händen. Früher hieß er Jan und lebte in Husum auf einem Bauernhof. Dort gründete er seine Familie. Eine Frau und drei Kinder gehören dazu. Jan mochte Husum, den Hof, seine Arbeit, die Nachbarn, lange Fahrradtouren, die harten Winter, sein Konto auf der Bank. Aber seine Zukunft mochte er nicht und diese Zukunft hieß: Husum, der Hof, seine Arbeit, die Nachbarn, lange Fahrradtouren, harte Winter und ein Konto auf der Bank. Jan wusste, dass man sich im Zweifel immer von den Dinge trennt und nie von sich selbst. Also wartete er, bis die Kinder die wichtigsten Schuljahre hinter sich hatten, verkaufte sein Haus und holte von einem Teil des Geldes Flugtickets für alle. Seine Frau brauchte er nicht zu überreden. Jedenfalls weniger, als es andere Männer hätten tun müssen. Die ersten Monate lebte die Familie vom Geld aus dem Hausverkauf. Sie kam in Daintree unter. Manchmal unternahm Jan auf der anderen Seite des Flusses stundenlange Wanderungen bis zum Cape Tribulation; dem noch unberührten Gürtel des tropischen Küstenregenwaldes Australiens. Während der Touren erspann er sich sein neues Leben. Er musste ein Stückchen Erde finden für ein neues Heim. Der dichte Regenwald aber gab wenig Raum fürs Hausbauen frei. Also kaufte er sich ein Stück lichtundurchlässiges Gestrüpp und fing an, sich seinen Platz zu schaffen. Nicht viel. Gerade groß genug für die Familie und einen gemütlichen Platz vorm Küchenfenster. Er spürte, dass es Zeit war, mit den Dingen anzufangen, die er noch unbedingt wollte. Schließlich hat es keinen Sinn, irgendwann der hoffnungsvollste Mann auf dem Friedhof zu sein. Er verwirklichte seinen Kindheitstraum: Ein Schloss. Nach einem halben Jahr war es fertig. Dann ließ er sich die Haare wachsen.

Als ich Jan traf, besaß er längst eine Röstmaschine und züchtete Kaffeepflanzen. Gäste, die mittlerweile hier vorbei kommen, lieben seine Ernte. Ich nehme Platz, sehe mich um und genieße die Stille. Frage mich, ob man sich an so einem Ort manchmal langweilt, ob ein Paradiesmann abends fern sieht, immer nur bunte Tücher um die Hüfte trägt und ob seine Ehe der Einsamkeit Stand hält? Mein Blick fällt auf den alten Brunnen am Eingang. Jan hat ihn mit Erde aufgeschüttet und rote Rosen darauf gepflanzt. Wahrscheinlich besitzt dieser Mann die Gabe, jedem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinzuhalten. Mit einem Mal fühle ich mich in seiner Gegenwart so spießig. Wenn er mich ansieht, denke ich jedes Mal, er könne meine Gedanken erraten. Seine Gesichtshaut ist ledern und tief gebräunt. Die hellblauen Augen wirken durch den Kontrast noch heller. „Ja“, sagt er plötzlich, ohne, dass ich die Frage ausgesprochen habe, „ich habe hier mein Paradies gefunden, das stimmt. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten, aus der Dunkelheit rauszukommen. Entweder du machst Licht, wo du bist, oder du gehts in die Sonne. Ich habe letzteres getan und nun muss ich nicht weiter in die Welt gehen. Die Welt kommt jetzt zu mir.“ Ich lächle schief. Jan beugt sich zu mir herüber. „Glaube mir, jeder kann seine Ruhe finden. Überall! Wichtig ist nur, dass du sie in dir trägst. Nur einfach dadurch, dass du anderswo hingehst, wird sich nichts ändern. Aber zu schaffen ist alles. Alles, was man sich denken kann. Das meine ich wörtlich. Das ist das Geheimnis: Was erdacht werden kann, wird auch getan.“
„Ja, aber“, wage ich den Einspruch, „manchmal ist es verdammt schwer! Da kämpfst du um eine Sache. Jahre lang. Ganz eisern. Und nichts passiert! Rein gar nichts.“ Jan hört mir aufmerksam zu und nimmt einen Schluck Kaffee. „Dann kämpfst du vielleicht zu angestrengt.“
„Wie meinst du das?“, protestiere ich. „Man muss sich doch anstrengen, wenn man etwas erreichen will?“
„Ja, aber nicht verkrampfen! Das Wichtigste dabei ist, überzeugend zu sein.“ Dann erzählt er mir die Geschichte von Gandhi. Die, in der er von einer Mutter gebeten wurde, ihrem Sohn klarzumachen, dass er weniger Zucker naschen soll. Sie dachte, die Worte des großen Mannes hätten mehr Gewicht als ihre eigenen. Gandhi erbat, sich drei Monate lang auf die Aufgabe vorbereiten zu dürfen und als die drei Monate vorüber waren, erklärte er dem Kind mit einfachen Worten, dass es besser nicht so viel Zucker essen soll, da dieser nicht gut für seine Gesundheit sei. Er würde sicherlich stärker und größer werden, wenn er öfter mal darauf verzichten würde. Der Junge war sofort einverstanden und die Mutter perplex. Sie fragte Gandhi, warum er sich auf so eine einfache Erklärung drei Monate vorbereiten musste. Er antwortete: „Um überzeugend zu sein, musste ich zunächst selbst drei Monate auf Zucker verzichten. Nur so konnte ich deinem Sohn das Vertrauen vermitteln, das Gleiche zu tun.“ Ich nippe an meiner Tasse und bin beeindruckt. Von der Geschichte und dem Mann, der hier vor mir sitzt. Bei der Verabschiedung reicht er mir die Hand und drückt noch einmal lange zu. „Du wirst es hier noch oft merken: Es gibt viele Fährten im Dschungel. Aber nur eine ist die richtige. Ich weiss ja nicht, was du in Deutschland tust, aber das zu tun, was alle tun, ist so viel wert, wie Sand in der Wüste. Schau einfach in welche Richtung alle um dich herum laufen und dann drehe dich um und gehe genau in die andere. Ich wünsche dir viel Glück!“

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